Einmal Türkei/Österreich bitte!

Nun ist es also wieder so weit. Ich fliege morgen nach Istanbul. Vom Flughafen fahre ich mit dem Taxi zur Galatabrücke und ballere mir zwei Fischsandwiches ins Gesicht. Dann nehme ich die nächste Fähre auf die asiatische Seite und springe in den nächsten Bus, der mich nach Adapazari bringt. Dort angekommen, nehme ich erneut einen Bus, der mich zur Wohnung meiner Eltern bringt. Wie ich mich kenne, könnte es aber auch ein Taxi werden, das ich mir gönne. Ist ja nicht so, als würden die weiß Gott wieviel kosten in der Türkei. Und dann.. naja, dann bin ich also in der Türkei.

Warum, ist die Frage? Ist dir fad? Besuchst du jemanden? Ist es ein Urlaub? Nein. Wie schon letztes Jahr, wurde mir die ehrenvolle Aufgabe zuteil, meine Eltern, die jedes Jahr mit dem Auto für mehrere Monate in die Türkei fahren um den Sommer dort zu verbringen, mit ebendieser Karre zurück nach Wien zu kutschieren. Was? Warum mein Vater nicht selber fährt, wird da gefragt? Guter Punkt! Er hat grauen Star auf beiden Augen und ließ sich dieses Frühjahr nur auf dem einen operieren. Das andere, so meinte er, würde schon bis zum Herbst durchhalten.

Hat es nicht. Sichkraft genau 0%. Quasi blind. Und genau da komme ich ins Spiel.

Viele Menschen aus meinem Umfeld verstehen nicht, warum ich das mache. Sie können nicht nachvollziehen, warum ich mir diese Ochsentour antue. Hier nochmal eine kurze Auflistung der Städte, die ich auf der Strecke anpeile:

  1. Adapazari / Istanbul: 163km
  2. Istanbul / Edirne: 239km
  3. Edirne / Plovdiv: 172km
  4. Plovdiv / Sofia: 144km
  5. Sofia / Niš: 168km
  6. Niš / Belgrad: 238km
  7. Belgrad / Szeged: 220km
  8. Szeged / Budapest: 173km
  9. Budapest / Wien: 243km

Ergibt eine Gesamtstrecke von 1.660 km. Interessant dabei ist, dass Google Maps die Distanz von Adapazari direkt nach Wien mit 1.737km angibt. Da hat’s doch was. Was ist mit den restlichen 77km, ha? Ha?

Aber ich schweife ab. Morgen angekommen, bleibt mir ein Tag, Freitag, um alles zu erledigen, was für diese Reise erledigt werden muss. Samstag früh geht es dann los. Was, also, ist der Grund, dass ich meine Eltern heimfahre? Das ist eigentlich sehr schnell erklärt:

Weil sie meine Eltern sind.

Die Frage, ob ich das denn überhaupt machen muss oder kann oder will, stellt sich gar nicht erst. Ich bin ihr Sohn und der Teufel soll mich holen, wenn ich sie in so einer Situation sitzenlasse. Ja, man muss natürlich auch wissen, dass ich meinen Vater jedes Jahr anflehe, nicht mit dem Auto zu fahren, immerhin ist er nicht mehr der Jüngste. Geht ihm ziemlich am Arsch vorbei. Habe ich schon erwähnt, dass mein Vater Dinge einfach immer auf seine Art und Weise erledigt, egal, was andere davon halten?

Meine arme Mutter, die einen Flug bei weitem bevorzugen würde, fährt gezwungenermaßen mit, weil er, sollte sie sich weigern, sogar bereit wäre, alleine in die Türkei und retour zu fahren. Außer natürlich, er sieht nichts mehr auf einem Auge. Da geht dann natürlich nichts mehr. Da muss dann ich ran.

Macht mir das etwas aus? Scheiße, ja! Wer noch nie diese Distanz alleine in einem Auto zurücklegen musste, kann sich einfach nicht vorstellen, wie mühsam diese Scheiße ist. Das wäre es schon alleine, aber dann ist da ja auch noch Bulgarien, das durchquert werden muss. Wer sich dafür interessiert, was daran denn so schlimm sein soll, dem lege ich meinen Bulgarien Reisebericht von letztem Jahr ans Herz.

Aber letzten Endes geht es hier um Familie. Das, was ich für meine Eltern tue, würde ich für jeden anderen aus meiner Familie auch tun. Letzten Endes hat man nur eine Mutter und einen Vater. Außer, natürlich, man hat homosexuelle Eltern, dann sinds natürlich immer zwei. Nur so nebenbei.

Wie auch immer. Irgendwie freue ich mich auf diesen Roadtrip. Irgendwie könnte ich beim Gedanken daran kotzen. Hält sich ziemlich die Waage. Andererseits bedeutet das, wieder viel Zeit mit meinen Eltern verbringen und sich austauschen zu können. Passiert sowieso viel zu wenig und ich frage mich, wie viele Jahre ich dazu noch Gelegenheit haben werde. Beim Gedanken, irgendwann nicht mehr mit einem von beiden reden zu können, worüber auch immer, überfällt mich blankes Entsetzen. Auch bei dem Gedanken, dass es sich dabei um eine Tatsache handelt, die auf uns alle wartet.

Das Leben ist kurz. Warum sich wegen ein paar Kilometern oder wenig Schlaf aufregen, wenn man sich dafür irgendwann sagen kann „Egal, was ich sonst für Scheiße in meinem Leben gebaut habe… immerhin war ich ein halbwegs guter Sohn.“

Und das will ich sein. Nicht mehr, nicht weniger.