Geburtstag

Als ich meine Augen öffne, könnte ich schwören, Gesang zu hören. Kinderstimmen, die mir ein Geburtstagsständchen singen. Scheiße! Schlaftrunken richte ich mich auf und purzle sofort seitlich aus dem Bett. Der Parkettboden ist angenehm kalt, ich presse meine Wange dagegen und bleibe so auf dem Bauch liegen, bis meine Morgenerektion ungenutzt verblüht.

Sechsunddreissig. Das ist drei mal so alt wie als ich zwölf Jahre alt war. Oder doppelt so viel wie achtzehn. Als mir unter der Dusche kaltes Wasser auf den Kopf plätschert frage ich mich, wie zum Teufel ich so schnell so alt werden konnte. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen, als ich mein erstes Bier getrunken habe. Oder den Wunsch verspürt habe, jemandem mit bloßen Händen das verfickte Herz herauszureissen. Während ich mir die Achselhöhlen einseife, denke ich an all die verstümmelten Menschen, die ich in ihrem Blut, ihrer Kotze und ihrer Pisse liegengelassen habe und muss lächeln.

Als ich die Wohnung verlasse, habe ich mein Handy bereits ausgeschalten. Könnte ja sein, dass mich irgendein Schwachkopf anruft um mir zum Geburtstag zu gratulieren. Ganz schlechte Idee. Den ganzen Tag lauere ich darauf, dass mich jemand mit einem dämlichen Grinsen ansingt, nur damit ich ihm meine Faust so lange ins Gesicht dreschen kann, bis ich alles zu blutigem Matsch verarbeitet habe. Aber niemand singt.

Stunden, nachdem ich meine Wohnung verlassen habe, schalte ich mein Handy wieder ein und befürchte schon, von unzähligen Geburtstags-SMS überhäuft zu werden. Nichts. Keiner hat eine SMS geschickt. Niemand hat angerufen. Keine Nachrichten auf der Mobilbox. Keine Emails. Keine verfickte WhatsApp Nachricht mit tanzenden Einhörnern. Wenn es nach meinem Handy geht, hat mich die Welt vergessen.

Während der Tag vergeht, denke ich so über dieses und jenes nach. Ich mache mir vor, froh zu sein, dass mir niemand mit unnötigen Geburtstagswünschen kommt, oder mir ein kleines Geschenk in die Hand drückt. Drauf geschissen, ich stehe über diesen Dingen. Ich verziehe den Mund zu einem selbstgefälligen Grinsen und klopfe mir selbst auf die Schulter. Ich brauch‘ das alles nicht. Was gibt es schon zu feiern? Man ist älter geworden, der Grube mit den Würmern wieder einen Schritt näher gekommen. In einem Moment flutscht man seiner Mutter aus dem Arsch und in der nächsten Sekunde ist auch schon wieder Schluss und man verabschiedet sich von dieser beschissenen Bühne. Was für eine Verschwendung!

Als ich abends heimkomme, ist meine Stimmung unerklärlicherweise im Keller. Ich knalle eine Tiefkühlpizza ins Backrohr und setze mich auf den Stuhl in der Küche. Während ich drauf warte, dass das Scheißding auftaut, läutet plötzlich mein Handy. Erschrocken zucke ich zusammen und suche mein Telefon. Grinsend mache ich mich bereit, den Anrufer zur Schnecke zu machen, sollte er auch nur eine Sekunde daran denken, mir ein Geburtstagsständchen zu bringen. Ich schnappe mir mein Handy und hebe ab.

„Hallo?“

Nichts.

„Hallo?!“

Schweres Atmen.

„Chhhallo?“

Ich runzle die Stirn.

„Ja? Hallo?“

„Ja. Hier is‘ Miro. Ich rufe an wegen Auto.“

Ich überlege. Was für ein Auto?!

„Was für ein Auto?“

Papier raschelt im Hintergrund.

„Haben gelesen in Bazar-Zeitung. Verkaufen Bäämääwää fir zwatausend?“

Ich erkläre Miro, dass ich keinen BMW verkaufe und lege auf. Enttäuscht setze ich mich wieder an den Küchentisch. Ein Blick in Richtung Backrohr verrät mir, dass die Pizza noch ein wenig braucht. Und gerade als ich mir überlege, wie ich mich die nächsten 15 Minuten beschäftigen soll, beginne ich zu schluchzen. Es sprudelt aus meinem tiefsten Inneren hervor, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte. Tränensturzbäche fließen aus meinen Augen und Rotz rinnt aus meiner Nase. Todunglücklich, ohne zu wissen warum, lasse ich meinen Kopf auf den Tisch sinken, schließe die Augen und gebe mich voll und ganz meinem Kummer hin.

Die Pizza schmeckt ein wenig verbrannt. Die zusätzlichen fünf Minuten konnten ihr aber sonst scheinbar nichts anhaben. Ich habe es mir mit ihr am Fenster gemütlich gemacht, kaue an einem Bissen herum und sehe auf die Straße hinab. Unter mir wuselt es wie immer. Die einen gehen nach links, die anderen nach rechts, alle haben sie ihre Arschgesichter aufgesetzt und interessieren sich für nichts und niemanden. Der Mensch ist eine bemitleidenswerte Rasse. Ich beginne mir auszumalen wie es wäre, wenn ich diesen Hurenkindern von meinem Fenster aus Blumentöpfe aus Ton auf ihre Köpfe fallen lassen würde. Aufgeplatzte Schädel, Hirnmasse, Blut und Knochen. Schön.

Und schlagartig verbessert sich meine Stimmung.

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