Nachts am Klo

Als Nasr seine Wohnungsschlüssel vor der Tür aus seiner Hosentasche kramt, ist es bereits nach 4 Uhr morgens. Langsam steckt er den Schlüssel in den Zylinder und dreht ihn, bis die Tür lautlos aufgleitet. Dem Stress mit seinem Vater würde er um diese Uhrzeit gerne aus dem Weg gehen. Immerhin geziemt es sich für Moslems ja nicht, sich die Nächte mit Gott weiß was für Freunden um die Ohren zu schlagen. Sein Vater hat keine Gelegenheit ausgelassen, ihm diese und unzählige weitere Predigten stundenlang einzutrichtern, zur Not auch mithilfe von Fausthieben. Genutzt hat es natürlich nichts. Ganz im Gegenteil, es hat Nasr lediglich weiter von seinem Glauben entfernt, bis zum einem Punkt, wo er gar nicht mehr genau wusste, ob und was er von all dem glauben sollte. Nasr hält die Luft an, drückt die Wohnungstür auf, schlüpft in die Wohnung und schließt die Tür lautlos hinter sich.

“Wo warst du?”. Obwohl die Frage kaum mehr als ein Flüstern ist, zuckt Nasr zusammen und lässt seine Schlüssel fallen, die scheppernd zu Boden gehen. Das Licht im Vorzimmer geht an und Nasr blickt ins müde und bleiche Gesicht seines Vaters, der seit Stunden hier auf einem Sessel auf ihn zu warten scheint. Seine Augen sind blutunterlaufen und seine Miene verheißt nichts Gutes. Nasr macht sich auf eine Standpauke oder Schlimmeres gefasst. Stumm blickt er zu Boden, ohne zu antworten. Was soll er denn auch sagen? Dass er mit Freunden zuerst Sushi essen und danach auf ein paar Drinks in den Club gegangen ist? Sein Vater würde den Verstand verlieren.

“Wo bist du gewesen?”. Die Frage klingt ungleich lauter und die Stirn von Nasr’s Vater legt sich in unzählige Falten. Er steht von seinem Sessel, die Augenbrauen zusammengeschoben und nähert sich Nasr auf eine bedrohliche Art und Weise, die er an ihm noch nie gesehen hat. Sein Herz beginnt zu pochen und er spürt seinen Puls bis in den Hals hinauf. Nein, er kann seinem Vater unmöglich die Wahrheit sagen, er würde ihn umbringen.

“Ich..”, beginnt Nasr unsicher. Sein Vater bewegt sich weiterhin langsam auf ihn zu.

“Ich war…”, flüstert Nasr weiter, kann den Satz aber nicht beenden.

Sein Vater springt trotz seiner stämmigen Gestalt auf ihn zu und packt ihn am Nacken. Der Griff ist erbarmungslos und Nasr fühlt sich wie in einem Schraubstock eingeklemmt. Er schließt die Augen vor Schmerzen und spannt seine Muskeln an, weil er weiß, was jetzt kommt. Sein Vater hat knapp 10 Jahre Baustellenarbeit hinter sich und jede Stunde hat seinen Körper in eine erbarmungslos kräftige Maschine verwandelt, die jederzeit Schmerzen zufügen kann. Vorzugsweise seinem Sohn. Die Faustschläge kommen mit einer derartigen Wucht, dass Nasr’s Körper kaum mehr als schmerzlose Jabs registriert. Dennoch hat jeder Treffer verheerende Wirkung und verwandelt seinen Körper in ein Fiasko aus Blutergüssen. Nasr lässt die Tortur keuchend und grunzend über sich ergehen, bis seinem Vater die Puste ausgeht. Das dauert eine Weile und Nasr wundert sich, dass er immer noch bei Bewusstsein ist.

“Du.. bist.. Eine Schande!”, keucht sein Vater, als er sich wieder halbwegs im Griff hat. “Deine Mutter hätte statt dir einen toten Stein zur Welt bringen sollen, der hätte mir wenigstens nicht so viel Schande gemacht!”. Diese Worte treffen Nasr mindestens genauso hart wie die Faustschläge. Stumm füllen sich seine Augen mit Tränen und rinnen über sein gerötetes Gesicht. Plötzlich fällt Nasr der Esslöffel in der Hand seines Vaters auf. Hält er den schon die ganze Zeit? Sein Vater setzt sich keuchend auf den Sessel und blickt ihn verächtlich an. Die Hand mit dem Löffel ruht auf seinem massiven Oberschenkel. Nasr bemerkt den metallischen Geschmack von Blut in seinem Mund.

“Ich habe versucht, aus dir einen ehrenwerten Mann zu machen.”, beginnt sein Vater schließlich seine Leier. “Aber es ist alles vergebens. Was auch immer ich versucht habe, hast du ignoriert, um deinen eigenen Kopf durchzusetzen. Ich sage A, du machst B. Ich habe es nett versucht, ich habe es mit Schlägen versucht, aber der Teufel scheint dich vollkommen in seinem Besitz zu haben.”

Nasr liegt immer noch zusammengekauert auf dem Vorzimmerboden, betrachtet seinen Vater aus roten, nassen Augen, wagt es aber nicht, sich zu rühren.

“Ich habe mit dem Hoca in der Moschee über dich gesprochen und er meinte, dass er bei uns vorbeischauen wird, um dich einer Austreibung zu unterziehen. Er ist der Ansicht, dass du besessen bist, von schlechten Geistern, die dich vom rechten Weg führen.”

Nasr blickt seinen Vater stumm an und wirft einen kurzen Blick auf den Löffel in dessen Hand. Irgendwie verursacht der Anblick dieses unangebrachten Gegenstands eine Panik in ihm, die er nicht erklären und der er sich nicht entziehen kann. Sein Vater bemerkt seinen Blick und sieht auf seine Hand, die den Löffel hält. Immer noch schwer atmend hält er ihn in Nasr’s Richtung.

“Du fragst dich sicher, was der Löffel soll.”, keucht sein Vater. “Ich bin mir nicht mehr sicher, ob du in deinem Kopf ganz richtig bist. Es scheint, als würde bei dir da oben irgendwas nicht richtig funktionieren. Anders kann ich mir dein Verhalten nicht erklären.”

Er steht ächzend vom Sessel auf und nähert sich Nasr langsam. Als er ihn erreicht hat, geht er neben ihm in die Hocke.

“Ich kenne Geschichten von Wahnsinnigen, die derart verrückte Dinge gemacht haben, dass es keinen Zweifel daran geben konnte, dass der Teufel von ihnen Besitz ergriffen hat. Ist es das, was du bist Nasr? Ein Irrer?”

Nasr wagt es kaum zu atmen. Sein Vater blickt ihm streng in die Augen und hält den Löffel hoch.

“Irre essen ihre eigene Scheiße, wusstest du das?”

Ehe Nasr registriert, was sein Vater gesagt hat, packt ihn seine stahlharte Hand erneut und schleppt ihn am Genick zum Klo. Er tritt die Tür auf und stopft Nasr’s Körper in den kleinen Raum wie eine Sporttasche. Nasr hat begonnen zu wimmern und hält beide Arme schützend vor seinen Kopf. Sein Vater muss eindeutig den Verstand verloren haben, es könnte gut sein, dass er ihn heute umbringt, wenn auch nur ein falsches Wort aus seinem Mund kommt. Besser still sein. Nicht zurück reden.

Drohend erhebt sich der Körper von Nasr’s Vater über ihm, als dieser mit einer Hand auf die Klomuschel deutet.

“Du wirst da rein scheißen.”, keucht er. “Du wirst da rein scheißen und danach wirst du deine eigene Scheiße mit diesem Löffel essen.” Er wirft den Löffel in Nasr’s Schoß. “Wenn du das tust, habe ich den Beweis, dass du nicht Herr deiner Sinne bist und wir werden mithilfe des Hoca Hilfe für dich finden.”

Wortlos sieht Nasr seinen Vater mit weit aufgerissenen Augen an, als dieser nach einer kurzen Pause erneut neben ihm in die Hocke geht.

“Wenn nicht”, beginnt er leise und sieht seinen Sohn aus mordlüsternen Augen an, “werde ich dich heute Nacht hier in dieser Wohnung umbringen, ehe du mir mehr Schande machen kannst.”

Ohne ein weiteres Wort steht Nasr’s Vater auf und knallt die Klotür hinter sich zu. Urplötzlich beginnt Nasr’s Körper zu zittern und beruhigt sich erst nach einer gefühlten Ewigkeit. Er kann nicht fassen, was gerade passiert ist, zweifelt aber keine Sekunde daran, dass sein Vater die Wahrheit gesagt hat. Scheiße fressen oder umgebracht werden. Entsetzen breitet sich in ihm aus, als ihm klar wird, dass dies seine einzigen Optionen sind und er heute Nacht tatsächlich sterben könnte. Zitternd steht er auf und setzt sich auf die Klobrille, den Löffel in seiner rechten Hand.

So sitzt er eine knappe Stunde reglos da. Als sein Vater ihn knurrend durch die geschlossene Tür anschnauzt, er solle verdammt nochmal zusehen, dass er fertig wird, steht er seufzend auf, um seine Hose zu öffnen.

Nein. Sterben will er heute auf keinen Fall.

Leave a Reply