London

Als Peter auf den “Bezahlen” Button der Website klickt, überkommt ihn ein wohliger Schauer. Ja! Er hat es getan! Er hat Flüge für sich und seinen besten Freund Georg nach London gebucht! Hin, retour, 200 Euro, bitte, danke! Fröhlich grinsend klappt er sein Macbook zu und lehnt sich zufrieden in seinen Bürosessel. Ein Blick auf die Wanduhr überzeugt ihn, sich auf der Stelle aus dem Staub zu machen, um seiner Herzensdame von den Tickets zu erzählen. Er stopft seinen Computer in seine Tasche, schlüpft in seine Lederjacke und verlässt pfeifend und himmelhochjauchzend seine Arbeitsstätte.

“Du hast.. was?!”. Marie fährt entsetzt in ihrem Sessel zurück und lässt sich in ihre Lehne plumpsen. Ihre Augen sind geweitet und ihr Gesicht wird innerhalb von Sekunden kreidebleich.

Peter, über seinen Teller gebeugt und den Mund voller Nudeln, kaut schnell und schluckt seinen Bissen herunter. Etwas verblüfft über ihre Reaktion nimmt er an, dass sie etwas falsch verstanden haben muss. Er lächelt gönnerhaft und beschließt, seine letzte Aussage zu wiederholen.

“Ich habe heute die Tickets für London gebucht. Du weißt schon.. Für Georg und mich.” Er lächelt sie dabei an, als wäre morgen ein Feiertag.

Marie sieht ihn immer noch entgeistert an. Sie sucht offensichtlich nach den richtigen Worten.

“Du Arschloch.”, ist schließlich das einzige, das sie herausbringt.

Peters Augenbrauen ziehen sich zusammen und er überlegt schnell, was da gerade schief gelaufen ist. Er geht alle Fakten in seinem Kopf durch, kann aber keinen Fehler seinerseits ausfindig machen. Dass er mit Georg nach London wollte, hatte er Marie bereits vor Wochen erzählt. Sie waren gemütlich zusammengesessen, bei Grissini, Käse und Rotwein und Georg hatte vorgeschlagen, dass sie doch mal gemeinsam – also Peter und er – wegfliegen könnten. Boys Weekend sozusagen.

Klar, warum nicht, sagte Peter.

Wohin denn nur, fragte Georg.

Wie wär’s mit Barcelona, fragte Peter.

Nee, zu viele Homos, sagte Georg.

Dann eben London, beschloss Peter.

Deal, rief Georg.

Marie war die ganze Zeit daneben gesessen und hatte sich das alkoholgeschwängerte Gespräch der zwei Affen angehört. Georgs Frau hatte gackernd über irgendeinen Dreck, der im Hintergrund im TV lief gelacht, während sie sich zu den zwei Jungs hinüber beugte um, den Zeigefinger auf Peter gerichtet, einen Pakt mit ihnen zu schließen

“Wenn ihr nach London fliegt, dann fliege ich aber mit Grete nach Barcelona!”

Peter und Georg hatten mehr als notwendig gewesen wäre über ihre Ansage gelacht, woraufhin Peter seiner Frau schließlich die Hand drauf gegeben hatte.

“Deal!”, hatte er gekichert und dann allen noch ein Achterl von diesem großartigen Burgunder eingeschenkt.

Ja, genauso war es gelaufen. Und nun saß Peters Frau vor ihm und nannte ihn ein…

“Arschloch.”, wiederholt Marie und eine Träne kullert ihr plötzlich aus dem Auge und über die Nase. Sie zischt zu ihrer Nasenspitze, scheint Anlauf zu nehmen und mit einem “Hooo!” springt sie ab und verschwindet applauslos und stumm im Tischtuch.

Peter legt sein Besteck weg und fragt sich, wie die Situation so schnell kippen konnte.

“Wir hatten doch einen Deal.”, sagt er schließlich. “Weißt du nicht mehr? Ich London, du Barcelona.”

“Was für einen Scheißdeal?!”, fährt ihn Marie plötzlich an. “Ich flieg doch nicht mit dieser beschissenen Kuh nach Barcelona!”. Sie schnappt sich ihre Serviette und wischt sich die Tränen weg, die sich jetzt zuhauf in Richtung Nasenspitze aufmachen.

“Aber ich hab dir doch mindestens zehnmal davon erzählt, dass ich mit Georg tatsächlich nach London fliegen werde.”, erklärt Peter und versucht dabei ruhig zu bleiben. Er merkt, wie ihm das Blut in den Kopf steigt und er will einen cholerischen Ausbruch unbedingt vermeiden. “Ich habe dir sogar erzählt, dass wir bei einem alten Arbeitskollegen von mir wohnen werden, Byron, das weißt du doch noch, oder?”.

Marie schluchzt mittlerweile und verreibt ihr Makeup in ihrem Gesicht, bis sie aussieht wie ein Waschbär.

“Warum fliegst du lieber mit einem Freund nach London statt mit mir?!”, fragt sie schließlich mit zitternder Stimme. “Ich will auch nach London”. Die Tränen kullern und kullern und kullern.

Peter ist so perplex, dass ihm die Worte fehlen. Kurz fragt er sich, ob sie ihn verarscht, aber ihr Gesicht spricht tausend Worte. Nein. Sie meint es tatsächlich ernst. Innerhalb kürzester Zeit ziehen sich dunkelgraue Gewitterwolken über seinem Kopf zusammen und nur mit äußerster Mühe schafft er es, einen halbwegs sachlichen Ton anzuschlagen.

“Meine Liebe, ich rede seit Wochen von diesem Trip und du hast bisher mit keinem einzigen Wort erwähnt, dass du ein Problem damit hast. Du hattest wirklich genug Gelegenheiten, um mich darauf hinzuweisen, dass dir das alles nicht passt. Du sagst kein einziges verdammtes Wort, sondern wartest darauf, bis ich Tickets buche, um mir deswegen einen Baum aufzustellen? Verstehe ich das richtig?”

“Du hast mich ja nicht gefragt!”, schreit ihn Marie plötzlich an. “Du hast gesagt, du fliegst nach London! Mit Georg! Und das war’s! Was hätte ich denn anderes sagen können?! Ich hätte ja ausgesehen wie ein Drache! Also hab ich den Scheiß mit Barcelona gesagt! Aber ich will gar nicht nach Barcelona! Noch dazu mit dieser blöden Fotze! ICH HASSE BARCELONA!”.

Marie’s Stimme ist mit jedem Wort lauter geworden und ihr kurzer Monolog mündet in einem Gekreische, das Peter an glühende Splitter unter Fingernägel erinnert. Nun ist es an ihm, kreidebleich zu werden. Eine innere Stimme versichert ihm, dass dies ein extrem wichtiger Moment in seiner Beziehung zu Marie ist. Es gibt viele Optionen, das Richtige zu tun oder zu sagen. Aber auch das Falsche. Peter lehnt sich in seinen Sessel, immer noch fassungslos ob der Wendung der letzten Minuten.

“Dann komm doch mit.”, hört er sich schließlich sagen und ein leises “Bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht” hallt durch seinen Kopf.

“Ich crash’ doch nicht euer Boys Weekend!”, schreit Marie ihn an und reisst sich mehrere Taschentücher aus der Box, die auf dem Tisch steht. “Wie sieht denn das aus?!”.

Peter atmet einige Male tief durch, ehe er antwortet. Nein, das hatte er sich nicht so vorgestellt. Er wollte ihr davon erzählen, sie sollte sich für ihn freuen, danach hätten sie fertig gegessen, ein wenig Fummeln auf der Couch und das Grand Finale im Schlafzimmer. Mit diesem elenden Scheiß hier hatte er nicht gerechnet. Nicht die Bohne.

“Okay, dann bleibe ich eben hier.”, seufzt er schließlich, steht auf und beginnt die Teller abzuräumen.

“Ja, genau!”, kreischt ihn Marie plötzlich an, sodass ihm das Geschirr beinahe aus den Händen fliegt. “Ja, bleib da, weil ich so eine widerliche Person bin, die ihren Mann nicht mal alleine wegfliegen lässt! Damit sich alle dann das Maul über mich zerreißen!”. Sie schneuzt sich schluchzend in zwölf Taschentücher.

Langsam setzt sich Peter wieder auf den Sessel und sieht seine Frau an. Fragt sich, wann sie so geworden ist. WARUM sie so geworden ist. Fragt sich, wie zum Teufel sie von einem so großartigen Frau zu diesem heulenden, kreischenden Teufel werden konnte. Dabei überkommt ihn trotz allem ein wohlig warmes Gefühl der Liebe zu diesem zuckenden und rotzenden Wesen, das ihm gegenüber sitzt. Er liebt sie. Das hat er immer schon. Und das tut er auch jetzt. Langsam steht er auf, geht um den Tisch herum zu ihr, hebt sie hoch, bringt sie stumm ins Schlafzimmer und legt sie ins Bett, wo er sie gefühlte drei Stunden lang streichelt, bis sie erschöpft einschläft.

Als er eine Woche später bis unter die Hutkrempe mit Cider abgefüllt mit Georg über den Trafalgar Square stolpert, dröhnt aus einem Lautsprecher eines Ladens laut Freddie Mercury’s ‘Barcelona’. Sie bleiben abrupt stehen, sehen sich an und lachen so lange, bis sich Georg in die Hose pinkelt.

Und dann torkeln sie weiter. Und lachen.

Und lachen.

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