Autobahn

„Schau dir diesen Idioten an!“

Marita kreischt beinahe. Sie sitzt mit ihrem Mann Martin in ihrem SUV, die beiden fahren stadtauswärts in Richtung Graz auf der Südautobahn. Es regnet so stark, dass sie kaum schneller als 60 oder 70 km/h fahren können. Riesige Tropfen prasseln auf die Windschutzscheibe und hinterlassen runde, tellergroße Wassermuster.

„Das darf doch bitte nicht wahr sein!“, kreischt Marita weiter. Ihre Stimme treibt Martin bereits seit ihrer Abfahrt rostige Nägel in seine Trommelfelle, aber er hat gelernt, damit umzugehen. Marita fuchtelt mit ihren Armen auf dem Beifahrersitz und deutet aufregt nach vorne.

„Dieser Trottel fährt doch mindestens 100 Stundenkilometer! Bei diesem Wetter! Unglaublich! Er gefährdet sich nicht nur selber, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer! Was ist nur mit diesen Leuten los?!“

Kopfschüttelnd und schnaufend verschränkt sie schließlich die Arme vor der Brust. Martin nickt stumm und konzentriert sich darauf, nicht aus der mittleren Spur zu fahren. Er hält den Wagen konstant in der Mitte der Autobahn und wechselt nur gelegentlich auf die rechte Seite um ein schnelleres Fahrzeug, vorbeizulassen.

„Ich finde, die sollten alle tausend Euro Strafe zahlen!“, wettert Marita weiter. „Ich meine, wie kommen andere dazu, in Gefahr gebracht zu werden, nur weil diese unverantwortlichen Dummköpfe meinen, sie müssen bei diesen Wetterverhältnissen schnell fahren? Nein, die können von mir aus auch gerne 5000 Euro Strafe zahlen, aber das traut sich ja wieder keiner der Politiker. Da fängt es ja an, die müssten die Gesetze dahingehend ändern, aber natürlich haben sie Schiss davor, bei den nächsten Wahlen abzustinken. Wer wählt denn auch jemanden, der solche Gesetze bestimmt?“

Sie wirft Martin einen Blick zu, scheinbar erwartet sie eine Reaktion. Er blickt kurz zur Seite und zuckt schließlich stumm mit den Schultern.

„ICH wähle solche Politiker natürlich! Was dieses Land braucht, sind Politiker, die genug Eier in der Hose haben das zu tun, was notwendig ist! Keine Schaumschläger und unnötigen Dampfplauderer, die sich einfach nur ein paar Jahre lang finanziell sanieren möchten, mit ihren Politikergehältern!“

Martin nickt erneut und runzelt kurz die Stirn, als er im Rückspiegel einen dunklen Schatten bemerkt, der sich blitzschnell durch den tosenden Regen nähert. Plötzlich blitzen Fernlichter auf, ein türkiser Bus hat sich ihnen fast bis zur Stoßstange genähert und lässt per Lichthupe ein Blitzgewitter auf sie niederprasseln, das Martin zwingt, die Augen zu Schlitzen zusammenzupressen.

„Also, das darf doch nicht wahr sein!“, schimpft Marita und dreht sich schnaufend auf ihrem Sitz nach hinten.

„Ja, spinnt der denn komplett?“. Ihre Augen weiten sich plötzlich. „Der klebt uns ja fast am Arsch!“, kreischt sie aufgeregt und deutet dem Bus hinter ihnen mit Handbewegungen, er möge Abstand halten. Dieser denkt gar nicht daran, betätigt weiter wie verrückt die Lichthupe und einige Sekunden später gesellt sich dann auch das Nerv tötende Gehupe des Busses dazu.

Martin überlegt kurz und wechselt schließlich auf die rechte Spur. Marita verliert bei diesem Manöver beinahe den Verstand.

„Du lässt diesen Arsch vorbei?! Was soll denn das?! Der soll gefälligst auf die linke Spur! Was ist denn mit dem los?! Was ist denn mit DIR los?! Ist das dein Ernst?!“

Der Bus beschleunigt auf der mittleren Spur und rast laut hupend an ihnen vorbei. Plötzlich schwenkt er ebenfalls auf die rechte Spur und ehe Martin weiß, wie ihm geschieht, leuchten direkt vor ihm die roten Bremslichter des Busses auf. Martin springt auf die Bremse und packt das Lenkrad so fest, dass seine Handknöchel weiß hervorblitzen. Der Wagen gerät kurz ins Schlingern, während die Bremsen versuchen auf dem regennassen Asphalt zu greifen. Maritas quietschendes, ohrenbetäubendes Kreischen nimmt Martin erst wahr, als sich die Situation beruhigt hat. Der türkise Bus hat nach dem hinterhältigen Bremsmanöver wieder beschleunigt und ist durch den strömenden Regen aus ihrem Blickfeld verschwunden. Das Lenkrad immer noch mit beiden Händen fest umklammernd nimmt Martin die nächste Ausfahrt zu einer Raststation, wo er den Wagen parkt und die nächste halbe Stunde damit verbringt, sich zu beruhigen und nebenbei Maritas Litanei anzuhören.

Fünfzig Kilometer weiter hat sich sowohl das Wetter, als auch die Stimmung innerhalb des Autos entspannt. Marita schimpft jedoch immer noch über den Fahrer des türkisen Busses und auf die Art und Weise wie Martin reagiert hat. Warum er den Schwanz eingezogen hat, vor so einem rücksichtslosen Fahrer. Warum er ihm nicht einfach nachgefahren ist, um ihn zu stellen. Warum er ständig solche Dinge mit sich machen lässt. Dass sie dem Typen aber sowas von die Meinung gehustet hätte, wenn sie ein Mann wäre. Martin lässt die Litanei wortlos über sich ergehen. Er kennt seine Frau. Irgendwann wird sie den Mund halten.

Kurz vor Graz nähern sie sich der Ausfahrt einer weiteren Raststation. Plötzlich reißt Martin das Steuer hart nach rechts und nimmt die Ausfahrt. Ehe Marita weiß, wie ihr geschieht, stehen sie an einer BP Tankstelle und Martin steigt aus. Marita gehen ungefähr 30 Dinge durch den Kopf, die sie sagen möchte, als ihr bewusst wird, dass es sich bei dem Wagen vor ihnen um einen türkisen Bus handelt. Ein Kerl in Jeans, mit Vollbart und langen Haaren steht auf der rechten Seite und tankt den Bus voll. Er bemerkt Martin und dreht sich zu ihm um. Martin geht ein paar Schritte auf ihn zu, wobei er die letzten zwei beschleunigt, seinen Kopf nach hinten schiebt und dem Typen seine Stirn plötzlich so ruckartig ins Gesicht schnellen lässt, dass Marita das Knacken des gebrochenen Nasenbeins sogar durch die geschlossenen Fensterscheiben hören kann. Der Fahrer des Busses stolpert schreiend nach hinten, kracht mit dem Rücken gegen die Zapfsäule und rutscht mit dem Rücken daran zu Boden. Martin steigt über den Schlauch, hebt seinen rechten Fuß und donnert ihm seine Schuhsohle ins Gesicht. Marita beobachtet mit schneeweißem Gesicht, wie sich mindestens vier Vorderzähne prustend verabschieden und in einer blutigen Wolke verschwinden. Schließlich wandert ihr Blick auf das Gesicht ihres Mannes, der mit vollkommen ruhigem Gesicht, jedoch geballten Fäusten, über seinem Opfer thront. Martin nickt kurz, dreht sich um und steigt schnell wieder in den Wagen. Er knallt den Rückwärtsgang rein, schiebt zurück und brettert mit Vollgas davon.

Als sich Martins Puls etwas beruhigt, schüttelt er abwechselnd seine Hände aus, und atmet tief ein und aus. Maritas angstgeweiteten Blick ignoriert er gekonnt.

„Ich glaube, ich könnte jetzt ein Schnitzel vertragen.“, sagt er schließlich, als sie sich der Ausfahrt Graz/Zentrum nähern. „Ja, so ein Schnitzel wäre jetzt echt verdammt gut. In Graz gibt es ja den Stiftskeller, die machen angeblich das beste Schnitzel weit und breit. Vielleicht könnten wir dort kurz vorbeischauen, was denkst du?“

Marita antwortet nicht. Sie sieht mit weißem Gesicht aus dem Fenster und fragt sich, was zum Teufel da eben passiert ist.

„Ja, ein Schnitzel wird uns gut tun, denke ich.“, nickt Martin euphorisch und fährt nach Graz/Zentrum ab. Er fühlt sich ziemlich gut. Eigentlich fühlt er sich so gut, wie schon lange nicht mehr. Während er beginnt eine fröhliche Melodie zu pfeifen, erzählt er seiner Frau von den Vorzügen eines wirklich guten Erdäpfelsalats.

Und davon, wie gut der auch zu Fleischlaberln passt.

Fleischlaberl mit Zwiebelsenf.

Mit selbergemachtem Zwiebelsenf.

Nicht den Tubenscheiß.

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