Rasierklingen. Uns verbindet eine sehr alte Freundschaft. Viele Schlachten haben wir gemeinsam bestritten. Ich würde uns als alte Kumpel bezeichnen. Momentan allerdings befinden sich ganze Horden von diesen kleinen Mißgeburten hinter meiner Stirn und scheinen Pogo zu tanzen. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment zerspringen. Ich schleiche mit zusammengekniffenen Augen lahmarschig durch die verschneiten Straßen und knalle mir alle paar Minuten die Faust gegen die Schläfe, damit der Schmerz da drin aufhört. Funktioniert nur bedingt.
Zuhause angekommen, lasse ich Jacke, Schal und Haube an Ort und Stelle fallen und gehe mit zittrigen Beinen und ohne mich auszuziehen, schnurstracks ins Bett. Ich rolle mich in meine Decke ein und beginne, den Rasierklingen Namen zu geben.
– Das ist Nancy, mit dem dicken Lippenstift und Zellulite-Arsch..
– Das ist Jorge, IQ von 10, aber einen Schwanz so dick wie ein Subway-Brötchen..
– Das ist Falbala, zwei Paar Lippen, die dicker nicht sein könnten und riecht nach Majonaise..
– Das ist Olaf, wurde von seiner Lehrerin oral mißbraucht und liebt Orchideen..
Und dann geht die Tür auf und irgendwelche Leute spazieren ins Schlafzimmer. Ein schier endloser Strom von Körpern ergießt sich in den kleinen Raum und alle reden wirres Zeug und machen „Oooh!“ und „Aaah!“ und „Hihihi!“ und „Geh Bitte!“. Ich ziehe mir den Polster über den Kopf, aber der Lärm ist deswegen immer noch nicht besser zu ertragen. Irgendwie schaffe ich es, mich auf den Bauch zu rollen und tatsächlich wieder wegzupennen.
Durch ein langgezogenes Schreien wache ich urplötzlich auf. Die Rasierklingen in meinem Kopf poltern durcheinander und erzeugen dabei ein klirrendes Geräusch, das mir durch Mark und Bein fährt. Ich stelle fest, dass ich eine Erektion habe, mit der man jemandem den Schädel einschlagen könnte. Hart wie Kruppstahl. Vorsichtig linse ich unter meinem Polster hervor und sehe fette Frauen in einer Ecke, die sich gackernd und quietschend über Strap-On-Dildos unterhalten. Eine von ihnen hat den Kopf eines Pudels in ihrem Arsch stecken. Das Drecksviech steckt bis zum Halsband im Anus, stemmt sich mit allen vier Pfoten gegen diese unfassbar schwabbeligen Arschbacken und versucht zappelnd freizukommen. Ich springe auf, packe meinen Schwanz und ziehe ihn der fetten Kuh über den Kopf. Es macht Plonk! und eine klaffende Wunde erscheint augenblicklich. Sie dreht sich um, sieht mich überrascht an und ehe sie ihren dreckigen Mund öffnen kann verschwindet sie mit einem Ploff! in einer Staubwolke direkt vor meinen Augen. Der Pudel in ihrem Arsch fällt, als ihn nichts mehr hält, zu Boden und schaut sich mit kotverschmiertem Gesicht überrascht um, als wollte er sagen „Nageh, ich hätt‘ das eh auch alleine geschafft!“. Ich springe vom Bett, nehme Anlauf und trete das Scheißvieh durch das geschlossene Fenster. Während er einige Stockwerke nach unten rauscht, höre ich ihn einen Schlager von Wolfgang Petry singen.
Im Zimmer ist es sehr still geworden. Alle halten inne und sehen mich an, als würden sie darauf warten, dass ich das Buffett für eröffnet erkläre. Ich nutze den Moment und erschlage alle mit meinem erigierten Penis. Es macht Blotsch! und Gink! und Gwaargk! und Tblöötsch! Alle verschwinden in einer Staubwolke und mit der Zeit wird es immer leiser. Schließlich ist da nur mehr das Klirren des Rasierklingen in meinem Kopf, wenn ich den Kopf von einer Seite zur anderen neige. Wie in einer Schüssel voller Kleingeld. Nancy und Jorge und Falbala und Olaf und der Rest scheinen mir zuzujubeln und beglückwünschen mich zur erfolgreichen Reinigung meines Schlafzimmers.
Ich ziehe so lange an meinem rechten Ohr, bis eine Rasierklinge hinausfällt. Ich gebe ihr den Namen Murat und setze mich ganz außer Atem auf mein Bett. Langsam ziehe ich kreisförmige Linien über meinen nackten Unterarm und beginne dabei zu summen.
Das Muster ist wunderschön.
Ich wache auf und liege auf dem Bauch. Als ich mich stöhnend aufsetze stelle ich fest, dass ich tatsächlich eine Erektion habe. Jedoch alles andere als steinhart. Eher halbsteif. Ein Knickemann. Mit dem Ding könnte ich nicht mal eine Delle in ein Stück Butter hauen. Ich hole das Fieberthermometer und stecke mir das Ding in die Ohren. Es piept – 39,5°C und dann piept es noch einmal – 38,9°C. Ich schleppe mich zum Arzneischrank und stecke mir alles an Tabletten in den Mund, von dem ich denke, dass es auch nur im Entferntesten helfen könnte. Scheiß drauf. Als ich mir im Badezimmer Wasser aus der Leitung in den offenen Mund rinnen lasse, fällt mein Blick auf meinen Unterarm und das Muster darauf. Die Schnitte sind bereits verkrustet. Ich starre eine zeitlang darauf und folge den blutigen Linien. Schließlich schnappe ich mir eine frische Rasierklinge und schleppe mich zurück ins Bett.
Ich lege die Klinge auf das Regal neben dem Bett und rolle mich fest in meine Decke.
Murat. Murat ist ein guter Name. Mit 7 Geschwistern, buschigen Augenbrauen und einer Lederjacke mit einem Drachen drauf.